Die Bedeutung der klassischen Familie lässt nach. Zeit für ein neues Erbrecht.
Die Bedeutung der klassischen Familie lässt nach. Zeit für ein neues Erbrecht. (Getty Images)
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Das Erbrecht wird modernisiert

Die geltenden Formen der Erbteilung entsprechen oft nicht mehr dem letzten Wunsch vieler Menschen. Reformen sind auf dem Weg.

Marc Winzap und Soizic Mendes de Leon

Die Lebensweise unserer Gesellschaft hat sich den vergangenen hundert Jahren tiefgreifend gewandelt.

Die steigende Lebenserwartung und der Abbau von Geschlechter­ungleichheiten haben die Organisation unserer persönlichen und familiären ­Beziehungen verändert. Die Bedeutung des klassischen ehebasierten Familienmodells lässt nach, immer mehr Menschen leben in nichtehelichen Lebens­gemeinschaften, beispielsweise als Alleinerziehende oder in Patchworkfamilien.

Trotz dieser Entwicklungen hat sich das Erbrecht seit Inkrafttreten im Jahr 1912 kaum verändert. Die Teilungsregeln, die sich am damaligen Familienmodell orientierten, gelten noch heute. Wenn eine Person stirbt, ohne ein Testament zu hinterlassen, richtet sich die Erbteilung nach der Familienkonstellation.

Testament entscheidet

Hinterlässt die verstorbene Person einen Ehepartner und Kinder, steht die eine Hälfte ihres Nachlassvermögens dem Ehepartner zu, die andere Hälfte zu gleichen Teilen den Kindern. Stirbt eine ledige oder eine verwitwete Person, erben ihre Kinder das gesamte Vermögen. Sind keine Nachkommen vorhanden, hinterlässt der Erblasser aber Erben des elterlichen Stammes (zum Beispiel Eltern, Geschwister, Neffen/Nichten), so beträgt der gesetzliche Erbteil des Ehegatten drei Viertel, derjenige der Angehörigen des elterlichen Stammes ein Viertel. Ist die verstorbene Person unverheiratet und ohne Kinder, geht das Erbe an die Eltern. Hinterlässt sie hingegen einen Lebenspartner, ist er unabhängig von der Dauer der Beziehung nicht erbberechtigt.

Mit einem Testament kann der Erblasser von diesen Teilungsregeln abweichen und einen seiner Erben begünstigen oder einen Teil seines Vermögens an andere Familienmitglieder, an Personen ohne Verwandtschaftsverhältnis oder an Institutionen vermachen. Dieser Möglichkeit sind jedoch vom Gesetz Grenzen gesetzt: Bestimmte Personen haben Anrecht auf einen Mindestteil des Erbes, der nicht herabgesetzt werden kann. Es handelt sich hierbei um einen Bruchteil des gesetzlichen Erbanspruchs, den sogenannten Pflichtteil. Nach Abzug des Pflichtteils kann der Rest des Vermögens, die verfügbare Quote, beliebig aufgeteilt werden.

Nach aktuellem Recht gehören zu den pflichtteilgeschützten Erben die Nachkommen, der Ehepartner und die Eltern, wenn keine Nachkommen vorhanden sind. Der Pflichtteil beträgt bei Nach­kommen je drei Viertel ihres gesetzlichen Erbanspruchs, bei Ehepartnern und Eltern die Hälfte.

Neues Regelwerk ab 2023

Dazu ein Beispiel: Eine verheiratete Person mit Kindern kann über drei Achtel ihres Nachlasses frei verfügen, denn der gesetzliche Anteil ihres Ehepartners beträgt ein Viertel und der ihrer Kinder drei Achtel. Eine ledige oder eine verwitwete Person mit Kindern kann über ein Viertel ­ihres Nachlasses frei verfügen, denn drei Viertel entfallen auf ihre Kinder. Eine verheiratete Person ohne Kinder kann über die Hälfte ihres Nachlassvermögens ver­fügen, die andere Hälfte geht an ihren Ehepartner und an ihre Eltern, sofern sie noch am Leben sind.

«Es ist sinnvoll, bestehende testamentarische Bestimmungen jetzt zu prüfen.»

Weil diese Form der Erbteilung dem Wunsch vieler Menschen nicht mehr entspricht, hat das Parlament im Dezember letzten Jahres neue Bestimmungen zur Erbteilung beschlossen. Der Pflichtteil der Nachkommen wird von drei Vierteln auf die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs heruntergesetzt und der Pflichtteil­anspruch der Eltern abgeschafft. Bei ­Ehepartnern wird der Pflichtteil dagegen unverändert bei der Hälfte belassen. Ein Erblasser kann somit freier über sein Vermögen verfügen und beispielsweise einen Lebenspartner oder dessen Kinder oder den Nachfolger in einem Familienunternehmen stärker begünstigen.

Marc Winzap, Vermögensplaner Deutschschweiz, und Soizic Mendes de Leon, Leiterin Vermögensplanung Schweiz, Pictet Wealth Management

Somit kann eine verheiratete Person mit Kindern künftig frei über die Hälfte ­ihres Nachlasses verfügen statt über drei Achtel wie heute. Die Reform wirkt sich jedoch nicht auf die steuerliche Behandlung des Nachlasses aus, die weiterhin in die Zuständigkeit der Kantone fällt. Zwar kann so eine Person, die mit dem Erb­lasser weder verwandt noch verschwägert ist, einen grösseren Erbanteil erhalten, in den meisten Kantonen muss sie aber hohe Erbschaftssteuern entrichten.

Diese neuen Bestimmungen treten am 1. Januar 2023 in Kraft und gelten für jeden Nachlass, der nach diesem Stichtag eröffnet wird, selbst wenn das Testament, das eine besondere Aufteilung vorsieht, vorher verfasst wurde. Weil das neue Recht mehr Spielraum bei der Nachlassaufteilung lässt, ist es sinnvoll, bestehende testamentarische Bestimmungen zu prüfen, um sicherzustellen, dass sie noch dem Wunsch des Testamentsverfassers entsprechen und dass sich angesichts der neuen Regelungen keine Auslegungs­probleme ergeben.

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