«China könne heute deshalb auf einen grossen Pool von aus­gezeichneten Akademikern zurückgreifen, die echte Innovation vorantreiben, vor allem in den Bereichen Informatik, Datenanalyse und künstliche Intelligenz.»
«China könne heute deshalb auf einen grossen Pool von aus­gezeichneten Akademikern zurückgreifen, die echte Innovation vorantreiben, vor allem in den Bereichen Informatik, Datenanalyse und künstliche Intelligenz.» (Adobe Stock)
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Wachstum Made in China – nun beginnt der Wind zu drehen

China braucht qualitativ hochstehendes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Das bedingt ­Innovationskraft und einen dynamischen Privatsektor. Es kommen Zweifel auf, ob diese Ziele erreicht werden.

Elisabeth Tester

Vor einigen Jahren war zu lesen, es sei Präsident Xi Jinping ein Anliegen, den Fussballsport im Land zu fördern. Vor dem Hintergrund der Macht der chinesischen Regierung ist die Stärke der Fussballliga heute aber wenig beeindruckend. Offenbar kann sogar in China nicht alles staatlich verordnet werden – und das gilt auch für Innovation.

Viel ist in den letzten Jahrzehnten erreicht worden, viele hundert Millionen Menschen in China haben den Schritt von tiefer Armut zu moderatem Wohlstand ­geschafft. Aber schon in naher Zukunft dürfte es schwierig werden, diese Wachstumsdynamik aufrechtzuerhalten. Namhafte Ökonomen erwarten, dass sich Chinas Wirtschaftswachstum bis zum Ende der Dekade auf das Niveau westlicher Industrieländer abschwächen wird.

Die fortschreitende Selbstabkapselung des Landes mit hermetisch abgeriegelten Grenzen – wozu Covid-19 den perfekten Vorwand liefert – kann den auf den Binnenmarkt fokussierten wirtschaftlichen Zielen Chinas kurzfristig helfen. Der chinesische Mittelstand reist nicht mehr ins Ausland und konsumiert umso mehr im Inland. Auf die Dauer hat aber noch kaum ein insularer Staat floriert.

Kaum lösbare Probleme

Viele Wachstumshemmer Chinas haben ihre Wurzeln zudem in kaum lösbaren Problemen: die Abnahme der arbeitstätigen Bevölkerung, die sehr tiefen Geburtenraten, der sinkende Grenznutzen weiterer Infrastrukturinvestitionen, die immer noch sehr hohe Sparquote und die verhältnismässig geringe Konsumquote, die auf das nach wie vor eher weitmaschige Vorsorge- und Sicherheitsnetz zurückzuführen sind. Nicht zuletzt ist die Urbanisierung weit fortgeschritten und der Wohnraum gebaut, wovon 20 bis 25% permanent leer stehen.

«Investoren sollten mit weiteren staatlichen Eingriffen und Turbulenzen rechnen.»

China braucht nicht nur Wachstum, sondern das richtige Wachstum. Also qualitatives Wachstum, das auf Innovationen beruht, hochwertig und nachhaltig ist und entsprechende Arbeitsstellen kreiert. Woher soll es stammen? Das Zauberwort der chinesischen Regierung heisst Innovation, die von privaten Unternehmen und der Hochschullandschaft erzeugt werden soll.

China unternimmt viel, um private Unternehmen und Innovation zu fördern. Die Unternehmensgründung ist unkompliziert, die Infrastruktur vielfach ausgezeichnet, es gibt Anreize für Forschungsausgaben, und die Finanzierung am ­Kapitalmarkt ist dank neu eröffneten ­Börsen einfacher geworden. Branchen, die für Chinas neues Wachstum als zentral betrachtet werden, geniessen umfangreiche Subventionen. Hochtechnologieunternehmen zahlen weniger Steuern. Was jedoch bleibt, ist die Abhängigkeit vom Wohlwollen der entsprechenden

lokalen Regierungsstellen.

Trotzdem sind die Kraft und der Erfolg privater Unternehmen in den letzten Jahren geradezu explodiert. Vize-Premier­minister Liu He liess sich neulich zitieren, der Privatsektor Chinas sei für mehr als die Hälfte der Steuereinnahmen, mehr als 60% der Wirtschaftsleistung, mehr als 70% der Technologieinvestitionen und für über 80% der urbanen Arbeitsplätze verantwortlich. So weit die Rhetorik. In jüngerer Zeit ist klar geworden, dass die Regierung die Marktmacht privater Unternehmen nur bis zu einem gewissen Grad toleriert. Sozialpolitische Gründe (das Ziel einer egalitäreren Gesellschaft) und wettbewerbspolitische Ziele werden ins Feld geführt, um massive regulatorische Eingriffe in einzelne Märkte zu begründen.

Wesentliche Aktiven von Technologieunternehmen, nämlich die Daten, wurden faktisch teilenteignet. Ganzen Branchen wird die Berechtigung, gewinnbringend zu arbeiten, über Nacht abgesprochen, was weitere Fragen zu den Eigentumsrechten ­aufwirft. Ausländische Professoren an ­chinesischen Universitäten sind zu einer gefährdeten Spezies geworden, auch das eine Entwicklung, die der Konkurrenz­fähigkeit und der Innovationskraft des Landes wohl eher schadet als nützt.

Anspruch der Regierung

Sicher verfügt China über viele gute Ausbildungsstätten, ein Heer motivierter Uniabgänger, ein allgemein hohes Arbeitsethos und viele Leute mit unternehmerischem Flair. Aber der Anspruch der Regierung ist ja nicht nur, «gut» zu sein, sondern weltweit eine führende Rolle in Schlüsseltechnologien zu erreichen, die Benchmark nicht nur die eigene Vergangenheit, sondern die globale Wissenschaft.

Der Schweizer Simon Duttwyler, der seit 2013 an der Zhejiang University in Hangzhou lehrt und seit 2018 als ordentlicher Professor für Chemie eine eigene ­Arbeitsgruppe leitet, erklärt: «China hat in den letzten zehn Jahren unzählige akademische Stellen mit Chinesen besetzt, die eine Topausbildung und relevante Berufserfahrung im Ausland gesammelt haben. Dabei handelt es sich um eine Art importierte Innovation.» China könne heute deshalb auf einen grossen Pool von aus­gezeichneten Akademikern zurückgreifen, die echte Innovation vorantreiben, vor allem in den Bereichen Informatik, Datenanalyse und künstliche Intelligenz.

Wurden solche Experten bis vor drei Jahren an chinesischen Universitäten und Forschungszentren mit Handkuss akzeptiert, ist es für Auslandchinesen und Ausländer heute aufgrund einer viel strengeren Selektion erheblich schwieriger, eine entsprechende Stelle in China zu bekommen, so Duttwyler. «Wird der Mangel an ausländischen Professoren jedoch wieder grösser, sodass er der Wirtschaft schaden könnte, dürfte China diese Einschränkungen in Zukunft lockern.»

Ein Eigentor droht

Tatsache ist, dass die Kontrolle über die Wirtschaft und die Korrektur von Ungleichheiten in der Gesellschaft vom Staat häufig höher gewichtet werden als die wirtschaftliche Schaffensfreiheit. Parteidoktrin ist wichtiger als das Anziehen der weltweit besten Talente. Kapital in China ist für die Innovationsfinanzierung zwar reichlich vorhanden – aber Kapital allein schafft noch keinen Fortschritt. Es stellt sich die Frage, ob die Regierung mit dem Eingreifen in die Marktkräfte nicht ein wirtschaftliches Eigentor schiesst.

Was bedeutet das für Investoren? China ist die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt, kaufkraftbereinigt seit 2017 die grösste. Das Land war in den vergangenen zehn Jahren für rund ein Drittel des globalen Wirtschaftswachstums verantwortlich, 2009 und 2020 für fast 100%. Wie lange diese Dynamik noch beibehalten werden kann, ist angesichts der sich verändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Moment nicht klar. Aber der chi­nesische Binnenmarkt wird in den nächsten Jahren weiterhin stark wachsen, die chinesische Konsumstory ist vorläufig ­intakt. Investoren sollten mit weiteren staatlichen Eingriffen und Marktturbu­lenzen rechnen und einen längerfristigen Anlagehorizont haben.


Elisabeth Tester, Wirtschaftsautorin, Schanghai

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