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Schweiz muss mit Euroschwäche leben

Der Franken hat sich zuletzt markant aufgewertet, nicht nur nominal, sondern auch real. Eine Korrektur zeichnet sich nicht ab.

Andreas Neinhaus

Der Franken ist gegenüber dem Euro so stark wie nie zuvor. Diese Woche kostete 1 € zeitweise nur 96 Rappen (Stand: 20.8.2022). Noch vor einem Jahr war die Gemeinschaftswährung 1.08 Fr. wert. Was steckt hinter dem Einbruch?

Die Parität wurde kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine geknackt. Der Franken als wichtigste europäische Safe-Haven-Währung wertete sich auf. Anfang März fällt der Wechselkurs auf 1 Fr. pro €. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) interveniert am Markt und verkauft vermutlich rund 3 Mrd. € gegen Franken. Die Aktion hat Erfolg. Der Wechselkurs stabilisiert sich rund drei Monate lang auf 1.02 bis 1.04 Fr. pro €.

Den aktuellen Aufwertungsschub des Frankens hat die SNB indes selbst zu verantworten. Am 16. Juni erhöht sie den Leitzins von -0,75 auf -0,25 %, greift damit der Europäischen Zentralbank (EZB) vor und überrascht die Märkte. Ausserdem kündigt sie an, den Frankenkurs künftig aufwerten zu lassen, als Schutzschild gegen die Inflation aus dem Ausland. Seither wertet sich der Franken zum Euro auf respektive fällt der Eurowechselkurs.

Die meisten Experten wurden vom Tempo und vom Ausmass der Euroabwertung gegenüber dem Franken überrascht. Inzwischen haben sie ihre Prognosen an die neue Realität angepasst. Vorhersagen, dass der Wechselkurs bald wieder über 1 Fr. pro € steigt, sind weitgehend verschwunden. Aber auf lange Frist ist die Mehrheit der Auguren noch immer davon überzeugt. Das unterstreicht die Konsensprognose im August.

Doch es gibt prominente Ausnahmen. Credit Suisse rechnet damit, dass der Kurs noch drei Monate um 96 Rappen pro € notieren dürfte und in zwölf Monaten auf 99 Rappen liegt, aber nicht darüber. UBS hält 97 Rappen Ende Jahr für am wahrscheinlichsten. Die Commerzbank rechnet mit einer weiteren Euroabwertung bis 94 Rappen im ersten Quartal 2023 und einer fortgesetzten allmählichen Stabilisierung, die den Euro im dritten Quartal 2023 auf 93 Rappen zurückführt. Einige Bankanalysten sagen voraus, dass sich die Euroschwäche lange fortsetzen wird. UniCredit peilt für das Schlussquartal einen Kurs von 94 Rappen pro € an. Die Kollegen von Danske Bank rechnen mit 93 Rappen.

Im Juli sind die Schweizer Exporte gegenüber dem Vormonat 4,3 % gesunken: das erste Minus nach drei Monaten im Plus. Alle Warengruppen mit Ausnahme von zweien – Uhren und Präzisionsinstrumente – sind betroffen. Auch mit Blick auf die geografischen Absatzmärkte ist der Rückgang breit angelegt. Nur die Ausfuhren nach China nahmen zu, nach Europa und Nordamerika wurden deutlich weniger Schweizer Güter verkauft.

Fortsetzende Abwertung

Die Frankenaufwertung erhöht das Absatzrisiko im Ausland. Besonders für Unternehmen, die überdurchschnittlich viel in Euroländern verkaufen. Gegenwärtig bestimmen die weltweiten Konjunkturrisiken die Schweizer Wirtschaftsaussichten stärker als der Wechselkurs. Das belegen auch die Einfuhren: Im Juli sind die Importe ebenfalls zurückgegangen. Aus der Eurozone wurden 4,5 % weniger eingekauft, obwohl in Euro verrechnete Waren für Schweizer Importeure günstiger geworden sind.

Eine sich fortsetzende Euroabwertung dürfte die Konjunkturaussichten für die Schweiz allerdings beeinträchtigen. Beispielsweise kommen dann auf den anstehenden Wintertourismus, der auf möglichst viele Gäste aus dem Euroraum angewiesen ist, harte Zeiten zu.

Devisen erklärt

Wechselkurs: Der Preis einer Währung in Einheiten einer anderen Währung, beispielsweise der Eurowechselkurs als 0.96 Fr. pro 1 € oder 0.96 Fr./€. Es handelt sich um bilaterale Wechselkurse zwischen zwei Währungen.

Realer Wechselkurs: Hier wird der Wechselkurs um die Preisentwicklung der Länder bereinigt. Das Land mit der niedrigeren Inflation wertet sich real ab und gewinnt an Wettbewerbsfähigkeit, das mit der höheren wertet sich auf und wird weniger konkurrenzfähig.

Handelsgewichteter Wechselkurs: Er bildet den Wert der Währung eines Landes gegenüber den Währungen seiner Handelspartner ab. Er wird aus den bilateralen Wechselkursen berechnet und nach ihrer Bedeutung gewichtet. Handelsgewichtete Wechselkurse werden in der Regel als Indizes ausgewiesen.

In den kommenden Monaten wird sich zeigen, wie flexibel die SNB ist. Mit ihrem Strategiewechsel hat sie im Juni zu verstehen gegeben, dass die Vorteile der Frankenaufwertung die wirtschaftlichen Kosten überwiegen. Die Privathaushalte stehen finanziell gut da. Die Preise steigen zwar und schmälern die Kaufkraft, aber das geschieht in viel geringerem Ausmass als in den meisten anderen Ländern. Dieser Vorteil einer deutlich niedrigeren Inflation in der Schweiz als im Ausland fängt der reale Frankenindex ein, den die SNB regelmässig zitiert. Er fasst die Wechselkurse gegenüber den Schweizer Handelspartnern (handelsgewichteter Frankenindex) zusammen, bereinigt um die Inflationsunterschiede. Seit Anfang 2018 hat sich der Franken handelsgewichtet 20 % aufgewertet, real jedoch nur knapp 7 %.

Das unterstützt die These der SNB einer gesamtwirtschaftlich stabilen Währungsentwicklung. Dennoch wird die Luft dünner und nimmt der wechselkursbedingte Konkurrenzdruck zu. In den vergangenen vier Monaten hat sich der Franken real genauso kräftig aufgewertet wie nominal: 7,4 respektive 7,8 %.

Momentan überwiegen die Argumente, die dafür sprechen, dass der Franken stark bleibt. Im Vordergrund steht die erhöhte Gefahr einer Rezession in den grossen Euroländern, den USA, in Grossbritannien und inzwischen auch in Schweden, wo seit kurzem die Zinskurve ebenfalls invers verläuft. Die Zinserwartungen stärken den Euro ebenso wenig. Es wird erwartet, dass die EZB im September die Leitzinsen weiter erhöht und die SNB ihr zinspolitisch folgen wird. Die Zinsdifferenz zwischen den beiden Währungen dürfte daher den Franken-Euro-Wechselkurs kaum beeinflussen.

Auch politische Unsicherheiten stützen tendenziell die Nachfrage nach Frankenanlagen. Chris Turner von ING verweist auf die Wahlen in Italien am 25. September. «Der Renditeabstand zwischen italienischen BTP und deutschen Bundesanleihen kann sich leicht wieder auf 2,4 Prozentpunkte vergrössern, worauf sich der Franken zum Euro aufwerten wird», argumentiert er. Tatsächlich fand der jüngste Rückgang des Eurowechselkurses in einer Phase statt, in der sich der Spread über 2 Prozentpunkte ausweitete.

Parität zum Dollar

Gibt es Gegenargumente? «Mit unserer Prognose eines deutlich tieferen Franken-Euro-Wechselkurses liegen wir dann falsch, falls die Zinskurven weltweit steiler werden, das globale Investitions-umfeld kehrt und die EZB plötzlich die Zinsen viel stärker anheben muss, als die Märkte antizipieren», erläutert Mikael Milhoj von Danske Bank.

Auch eine unerwartete Kehrtwende im weltweit wichtigsten Währungspaar dürfte den Franken-Euro-Kurs entlasten: Der Euro notiert nur noch knapp über der Parität zum Dollar. Am Donnerstag lag der Wechselkurs auf 1.0159 $ pro €. Der Dollar profitiert davon, dass die USA als Öl- und Gasnettoexporteur im Aussenhandel von der Energiekrise profitieren, während sie Europa wirtschaftlich schadet.

Sollte der Euro überraschend steigen und sich der Dollar abschwächen, dürfte das auch den Eurokurs zum Franken etwas anheben. Allerdings um den Preis, dass dann vermutlich der Dollar von aktuell 95 gegen 90 Rappen pro $ sinkt. Man mag es drehen, wie man will, die Schweiz muss sich auf einen anhaltend starken Franken einstellen.

Erschienen in: Finanz und Wirtschaft, Nr. 66, 20. August 2022

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